In Führung gehen in der digitalen Arbeitswelt – warum WENN-DANN nicht mehr reicht

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Ein Spiel ohne Plan B? Komplexität ist sportlich.


In der digitalen Arbeitswelt führt nicht, wer alles im Griff hat – sondern wer versteht, was gerade geschieht. Nicht das Drehbuch entscheidet, sondern die Spielintelligenz.



Hüpfen wir mal ins Jahr 2002 zurück.
Es ist der 6. Februar – Bundesliga. Der FC Bayern München spielt gegen den kleinen FC St. Pauli. Das Ergebnis: 1:2. Der frisch gekürte Weltpokalsieger verliert völlig überraschend gegen den Außenseiter. St. Pauli erklärt sich selbst zum Weltpokalsiegerbesieger, ein T-Shirt wird gedruckt – Kultstatus inklusive.


Natürlich wird auch dieses Spiel analysiert – wie immer.
Aber was passiert, wenn wir es mal nach klassischen WENN-DANN-Mustern analysieren?


WENN wir 12 Eckstöße haben, DANN machen wir 3 Tore.

WENN wir zurückliegen, DANN bringen wir einen weiteren Stürmer und drehen das Spiel.

WENN wir gegen Bayern gewinnen, DANN gewinnen wir auch gegen Schalke.


Doch jeder, der jemals ein Fußballspiel gesehen hat, weiß: So funktioniert das nicht.
Im Spiel gegen St. Pauli hatten die Bayern zwölf Eckstöße. Sie wechselten offensive Spieler ein. Sie galten als Favorit. Und dennoch verloren sie – und St. Pauli ging eine Woche später 0:4 auf Schalke unter.


Komplexität bedeutet: WENN-DANN greift nicht mehr.


Zeitgleich mit dieser Fußballstory wurde auch die Arbeitswelt digitaler, dynamischer – und komplexer. Seitdem erleben wir in Organisationen, was auf dem Fußballplatz schon immer gilt:
Vorhersagen werden brüchig. Pläne treffen auf Realität. Das Spiel läuft anders als gedacht.

Doch woran erkennt man eigentlich Komplexität? Drei weit verbreitete Denkfehler zeigen, wie schwer wir uns mit dieser Realität noch immer tun:


„Es hängt alles irgendwo zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge.“ – Dettmar Cramer, Trainer-Legende


1. WENN wir 12 Eckstöße haben, DANN machen wir 3 Tore.

Denkfehler: Lineare Ursache-Wirkung


Ein Fan auf der Tribüne ruft: „Noch ’ne Ecke – jetzt muss er aber endlich rein!“

Aber: Fußball ist kein Fließband.
Mehr Ecken bedeuten nicht automatisch mehr Tore.
Mehr Features bedeuten nicht automatisch zufriedenere Nutzer.
Mehr Regeln bedeuten nicht automatisch bessere Zusammenarbeit.


Komplexität bedeutet: Es gibt keine lineare Kausalität zwischen Input und Output. Viel hilft nicht unbedingt viel.


2. WENN wir zurückliegen, DANN bringen wir einen Stürmer und drehen das Spiel.

Denkfehler: Steuerung von außen


Der Trainer wechselt taktisch. Das Team soll reagieren. Doch: Keine Wirkung.
Im Gegensatz zu komplizierten Systemen, die sich wie Maschinen steuern lassen, reagieren komplexe Systeme aufeinander – dynamisch, unvorhersehbar.

Führung ist hier kein Fernsteuerungsjob, sondern Rahmengestaltung.
Man kann den Spielverlauf nicht einfach „richten“ – man kann nur die Bedingungen gestalten, unter denen gute Entscheidungen möglich sind.


Komplexität bedeutet: Steuerung ist nur indirekt möglich – durch Haltung, Vertrauen und klare Orientierung.


3. WENN wir gegen Bayern gewinnen, DANN gewinnen wir auch gegen Schalke.

Denkfehler: Übertragbarkeit


Der Sieg gegen Bayern – eine Sensation.
Doch eine Woche später folgt ein 0:4 auf Schalke.
Warum? Weil der Kontext sich verändert hat.

In komplexen Systemen gibt es keine Best Practices.
Was in einem Team funktioniert, kann im nächsten scheitern.
Was in einem Projekt erfolgreich war, kann in einem anderen nutzlos sein.


Komplexität bedeutet: Jede Situation ist einzigartig – und verlangt neues Denken statt alten Mustern.


Fazit: In Führung gehen heißt, das Spiel ganzheitlich zu lesen

In der digitalen Arbeitswelt führt nicht, wer alles im Griff hat – sondern wer das Ganze im Blick behält. Denn in komplexen Situationen greift kein einzelnes Rezept. Es braucht Zusammenspiel.


Oder wie es Dettmar Cramer formulierte:
„Sie reißen sich am Hintern ein Haar aus – und das Auge tränt.“
Alles hängt zusammen. Auch im Führungsalltag.


Und genau deshalb braucht Führung in der Unsicherheit einen ganzheitlichen Kompass – ein Zusammenspiel aus vier Perspektiven:

Tugenden

Mentalität zeigen. Mut beweisen. Verantwortung übernehmen – auch ohne Gewissheit.

Taktik

Den Rahmen gestalten. Räume öffnen. Orientierung geben – statt Mikromanagement.

Teamgeist

Vertrauen aufbauen. Verbindung schaffen. Sicherheit durch Beziehung, nicht Kontrolle.

Talente

Menschen in ihre Stärken bringen. Entwicklung ermöglichen. Kompetenzen entfalten.


Diese vier Perspektiven greifen ineinander – wie in einem gut eingespielten Team.
In Führung gehen heißt heute: das Spiel zu lesen, nicht nur zu planen.
Denn am Ende gewinnt nicht die beste Strategie – sondern das beste Zusammenspiel.


Oder mit Sepp Herberger:
„Die Leute gehn’ zum Fußball, weil sie net wisse, wie’s ausgeht.“


Und genau deshalb braucht es heute Führungspersönlichkeiten,
die nicht auf Vorhersage setzen – sondern auf ein Trainingsprogramm rund um Tugenden, Taktik, Teamgeist und Talente – und die Fähigkeit, in Führung zu gehen, wenn der Spielverlauf unklar ist.“

Was das mit meiner Spielphilosophie zu tun hat


Ob auf dem Platz oder im Unternehmen – wer in Führung gehen will, muss lernen, mit Unsicherheit umzugehen. Kein Masterplan ersetzt das Zusammenspiel im Moment. Und genau deshalb braucht jede Organisation eine eigene Spielphilosophie, um im komplexen Spielfeld der digitalen Arbeitswelt bestehen zu können.

Eine Spielphilosophie, die nicht auf Kontrolle setzt, sondern auf Haltung (Tugenden), Orientierung statt Übersteuerung (Taktik), echtes Vertrauen im Team (Teamgeist) und die individuelle Entwicklung jedes Einzelnen (Talente).


Denn Führung in der Unsicherheit ist kein Solo – sie ist ein Mannschaftsspiel.
Und wer Wirkung entfalten will, braucht mehr als Tools:
Er braucht eine Spielphilosophie, die nicht nur plant, sondern auch spielt.


Meine Überzeugung:
In komplexen Zeiten ist es nicht den perfekten Matchplan –
sondern das Zusammenspiel aus Tugenden, Taktik, Teamgeist und Talenten.